»Everyone I have cared for has either died or left me.
Everyone…except for you.«
(Ellie, The Last of Us, 2013)
Liebe Leserinnen und Leser, ihr fragt euch, seit wann die Hoschis von der »GAIN« derart ordinäre Überschriften fabrizieren? »Don‘t shoot the messenger!« kann ich nur entgegnen.
1. In »The Last of Us Part II« wird tatsächlich verdammt oft »verfickte Scheiße« gesagt.
2. Das Sequel zu »The Last of Us« fackelt ein solches Feuerwerk der schlechten Laune ab, es braucht eigentlich nicht mehr als die obigen sechs Worte, um die Handlung zusammenzufassen. Damit ist allerdings nicht gesagt, dass es ansonsten nichts über den langerwarteten AAA-Blockbuster von Naughty Dog zu berichten gibt – im Gegenteil. Los geht’s, stürzen wir uns ins Verderben… Vergnügen.
Disclaimer: Zu den Begleitumständen der Veröffentlichung von »The Last of Us Part II« wurde bereits viel geschrieben. In Puncto »Arbeitsbedingungen“ möchte ich auf unsere aktuelle Print-Ausgabe hinweisen, die sich ausgiebig mit »Crunch« in der Spielebranche befasst. In der folgenden Kritik werde ich größere Spoiler vermeiden, für eine umfassende Story-Analyse lege ich euch daher die aktuelle Folge unseres Podcasts »GAIN Insight« ans Herz.
In meiner Autorenbox nenne ich »The Last of Us« eines meiner Lieblingsspiele und das aus gutem Grund. Die Reise von Joel und Ellie beschäftigte mich auch nach dem Abspann noch erstaunlich lange; ein Effekt, den ich eher von richtig guten Filmen, Serien oder Büchern kenne. Am Ende blieb für mich genau das richtige Maß an Fragen offen. »The Last of Us« überließ zukünftige Ereignisse meiner Fantasie und benötigte eigentlich keinen Nachfolger (übrigens eine Parallele zu »Hellblade« von Ninja Theory, das ja demnächst auch ein Sequel bekommt). Als eine Fortsetzung ankündigt wurde, dachte ich mir: »Was soll’s! Es ist ein Naughty-Dog-Spiel und wird vermutlich trotzdem richtig stark.« Mittlerweile habe ich »The Last of Us Part II« beendet und bleibe mit ambivalenten Gefühlen zurück.
Immer mitten in die Fresse rein
Fünf Jahre nach dem Ende des Vorgängers: Immer noch transformiert ein parasitärer Pilz Menschen in blutrünstige Untote. Nach ihrer dramatischen Reise durch die USA leben Joel und Ellie mittlerweile mit Joels Bruder Tommy und anderen Überlebenden in einer Gemeinschaft in Jackson, Wyoming. Im Vergleich zum ersten Teil verbringe ich wesentlich mehr Zeit in der Rolle von Ellie, die Beziehung zwischen der mittlerweile 19-Jährigen und ihrem Quasi-Ziehvater Joel ist weiterhin essenziell. Während einer Routine-Patrouille geraten Ellie und Joel in ein Blutbad, das von Mitgliedern der militärisch hochgerüsteten Wolves-Fraktion verübt wird. Nach Rache dürstend, brechen Ellie und ihre Freunde nach Seattle auf, der Hochburg der Wolves. Frei nach dem Motto »Gewalt erzeugt Gegengewalt» wird auf dieser Reise eine Kettenreaktion in Gang gesetzt. Fungierte Ellie im ersten Teil noch als Hoffnungsschimmer in einer abstoßenden Welt, mutiert sie nun zur Killermaschine, der zunehmend die Menschlichkeit verloren geht.
»Dein Überleben sei lang!«
»Dein Tod sei schnell!«
Diese gegenseitige Grußformel der Wolves-Fraktion vermittelt zwei zentrale Botschaften. Eine Zukunftsperspektive scheint die postapokalyptische Welt von »The Last of Us Part II« nicht zu bieten. Irgendwie so lange wie möglich zu überleben und einen grausamen Tod zu vermeiden, scheint für Viele das höchste der Gefühle. Temporär mag es gelingen, sich an Dingen wie Freundschaft, Liebe, Sex oder der Geburt eines Kindes zu erfreuen. Doch das nächste Leid, der nächste große Verlust, hängen wie ein Damoklesschwert über den Köpfen der Menschen. Die meisten von ihnen sind ohnehin viel zu kaputt, um etwas aufzubauen, das über flüchtiges Glück hinausgehen könnte.
Passenderweise wird in »The Last of Us 2 Part II« nicht mehr groß darauf eingegangen, dass Ellie unverändert der Schlüssel sein könnte, um einen Impfstoff gegen das Zombie-Virus zu entwickeln. Gezeigt wird eine Menschheit, die nicht zu retten ist. Wie auch, wenn einzelne Figuren viel zu sehr mit ihren eigenen Traumata und Rachefeldzügen beschäftigt sind und die Stimmen der Vernunft im Keim ersticken. Anstatt gemeinsam gegen die Zombie-Bedrohung zu kämpfen, bekriegen sich die menschlichen Fraktionen lieber gegenseitig und reißen eine beschissene Welt noch tiefer in den Abgrund. Ein wenig fühle ich mich hier an die finale Staffel von »Game of Thrones« erinnert, in der die Menschen mit Mühe und Not verhindern, dass die Welt von Untoten überrannt wird, nur um im direkten Anschluss wieder Krieg untereinander zu führen.
Individuelles Spielererlebnis
Wer den ersten Teil des Action-Adventures kennt, dürfte sich beim Gameplay schnell heimisch fühlen. Erneut wechseln sich Explorationsphasen mit Kämpfen gegen menschliche Gegner und Infizierte ab. Unterschiedliche Gegnertypen machen dabei ein individuelles Vorgehen ratsam. An einen Zombietypus ohne Gehör kann ich mich gut aus dem Hinterhalt anschleichen und ihn per Stealth-Kill erledigen. Soldaten, die mich im offenen Gefecht flankieren, während ich hinter einer Deckung hocke, erfordern wiederum eine andere Strategie. Vielleicht möchte ich auch lieber ohne Rücksicht auf Verluste in den Nahkampf gehen oder mich an Gegnern vorbeischleichen? So oder so verbessere ich im Verlauf meine Fähigkeiten und Waffen und werde in meinem Vorgehen zunehmend effektiver.
Sehr angenehm: Neben der Möglichkeit, mich Bedrohungen individuell zu stellen, kann ich einzelne Spielaspekte im Optionsmenü auf meinen Spielstil zuschneiden. Ich bevorzuge den offenen Kampf? In diesem Fall wähle ich aus, dass in der Spielwelt zusätzliche Munition, Heilobjekte und Crafting-Materialien zu finden sind. Es stört mich, manuell mit Tastendruck Objekte einzusammeln? Dann beschleunige ich das Prozedere und lasse die Protagonistin automatisch Items einsacken, sobald sie in Reichweite sind. Auch die Optionen bezüglich Barrierefreiheit sind vorbildlich. Mit knapp 60 Einstellungsmöglichkeiten soll auch Spieler*innen mit geringer Feinmotorik, einer Hör- und Sehschwäche und/oder blinden Menschen der Zugang zum Spiel ermöglicht werden. Klasse!
Im Zweifel für den Angeklagten
Die spektakulär inszenierten Kämpfe treiben meinen Adrenalinpegel regelmäßig in die Höhe. Leider strecken sie die Spielzeit teilweise arg in die Länge, obwohl ich gerade nur wissen möchte, wie es in der Handlung weitergeht. So denke ich mir zunehmend: »Dieselbe Art von Situation habe ich jetzt schon zig Mal erlebt.« Zudem ist die (größtenteils!) lineare Spielwelt regelrecht mit Gebäuden zugekleistert, in denen ich Items und Upgrades finde. Wie viele Stunden ich allein mit diesem Aspekt verbracht habe? Ich weiß es nicht, gefühlt waren es einige zu viel. Fairerweise muss ich anmerken, ein kostenloses Presse-Muster gespielt zu haben. Hätte ich knapp 60 Euro für »The Last of Us Part II« ausgegeben, würde ich vielleicht anders empfinden. Außerdem wird nicht jeder so gründlich vorgehen wie ich und an die 33 Stunden mit dem Spiel verbringen – ein paar Kürzungen hier und da hätten dem Pacing trotzdem gutgetan. Letztlich meckere ich aber auch insofern auf hohem Niveau, dass ich zu jeder Zeit wissen will, wie es mit den Charakteren weitergeht. Eine Wendung später fühle ich mich dann meistens auch wieder mit den spielerischen Redundanzen versöhnt.
Oh mein Gott, sie haben Kenny getötet!
Gewalt findet sich in »The Last of Us Part II« an allen Ecken und Enden. Unzählige Male steche oder schlage ich mit einem Messer oder anderen Nahkampfwaffen auf Gegner ein oder setze sie in Brand und sehe (und höre!) sie qualvoll zugrunde gehen. Als interessanter Kniff erweist sich, dass die Gegner verzweifelt die Namen von Personen rufen, die ich gerade ums Leben gebracht habe. Mit zunehmender Spieldauer verpufft dieser Effekt leider etwas, da er viel zu häufig eingesetzt wird. Die Grundidee empfinde ich trotzdem als gelungen. Im Spielverlauf erhalte ich ohnehin die Gelegenheit, die Ereignisse aus verschiedenen Perspektiven nachzuvollziehen. So wird deutlich, dass meine menschlichen »Feinde« am Ende nicht viel anders sind als ich. Sie sind ebenso Freund*in und Lebenspartner*innen anderer Personen wie mein Spielcharakter.
Grundsätzlich frage ich mich im Verlauf häufig, was die Entwickler wohl als Nächstes auf die aktuelle Gewaltspitze draufsetzen. Nicht falsch verstehen: Die Kompromisslosigkeit, mit der Naughty Dog hantieren, ergibt inhaltlich Sinn. Eine einheitliche Auseinandersetzung mit Gewalt findet trotzdem nicht statt. Einerseits zeigt das Spiel Gewalt oft als etwas Verabscheuungswürdiges, das zu immer größerem Leid führt. Andererseits könnten einige Szenen auch aus einem Exploitation-Film stammen. Hier beschleicht mich das Gefühl, Spektakel und Schockeffekt werfen die vermeintliche Botschaft hochkant über Bord. Spielerisch besteht ohnehin der Widerspruch, dass ich meine Spielfigur immer weiter upgrade, um noch effektiver und grausamer zu töten. Ein »The Last of Us Part II« möchte eben auch als Action-Spiel funktionieren. Klar, es handelt sich nicht gerade um das einzige Spiel, indem Gameplay und Story in Konflikt geraten. Zumindest erlaubte die Prämisse des Vorgängers aber eine etwas organischere Verknüpfung.
Herausragend inszeniert
Audiovisuell ist das neue Abenteuer von Ellie, Joel und Co. ein echter Genuss.
Was Naughty Dog aus seinem Performance Capturing herausholt, ist schlicht phänomenal. Dermaßen menschlich wirkende Charaktere habe ich selten in einem Spiel gesehen, selbst kleinste Nuancen in der Mimik werden glaubhaft betont. Letztlich ist es egal, auf welche visuellen Aspekte ich zu sprechen komme, »The Last of Us Part II« sieht selbst auf einer Standard-PS4 großartig aus. Auch in Bezug auf seine filmische Inszenierung ist der jüngste Streich von Naughty Dog eine Freude. Exemplarisch denke ich an meinen apokalyptisch anmutenden Ritt über eine lichterloh brennende Insel bei Nacht. Gänsehaut garantiert! Auch die Akustik trägt zur Intensität bei. Sei es nun ein tosendes Gewitter, Untote, die sich mit abstoßenden Lauten bemerkbar machen oder die Melancholie des Soundtracks.
Die Ruhe vor dem Sturm
Neben all der Action und Härte bleibt regelmäßig Zeit für ruhigere Momente. Hier erinnert »The Last of Us Part II« bisweilen an einen Walking Simulator. Lange in Erinnerung bleiben wird mir beispielsweise ein Überraschungsausflug, den Joel zu Ellies Geburtstag vorbereitet hat. Plötzlich wirkt all das Grauen weit entfernt und ich fühle mich mal wieder auf eine etwas positivere Weise berührt. In einer anderen Szene finden sich Ellie und ihre Freundin Dina in einer Synagoge wieder. Beiläufig kommt Dina auf ihren jüdischen Hintergrund zu sprechen. Das Spiel wird diesen nicht erneut aufgreifen, wodurch diese Momentaufnahme umso organischer funktioniert. Bei genügend anderen Szenen wird dafür der Holzhammer ausgepackt. Und dennoch: Selbst einige Szenen, in denen ich mich hochgradig manipuliert fühle, hinterlassen einen Effekt bei mir. Anscheinend drücken Naughty Dog wenigstens in meinem Fall einige richtige Knöpfe, aber dieses Empfinden ist natürlich ebenso subjektiv wie der Umgang mit dem ein oder anderen Logikloch.
Ein potenzieller Stein des Anstoßes ist für viele Spieler*innen die Entwicklung von Ellie. Auch in meinem Fall führt ihre Grausamkeit zu einer Entfremdung, so dass meine Zeit in »Team Ellie« eindeutig vorbei ist. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass mich ihre Geschichte deswegen nicht mehr interessiert. Zudem empfinde ich ihre Entwicklung weitestgehend als schlüssig. Ellie ist in einer grausamen Welt aufgewachsen, hat in ihrem jungen Leben viel Leid gesehen und zahllose Verluste erlitten. Dass sich solch ein Mensch nicht in eine gute Richtung entwickelt, fällt mir nicht schwer zu glauben. Auch mit einem krassen Twist in der Mitte des Spiels kann ich im Gegensatz zu einigen erbosten Internet-Usern gut leben. Naughty Dog haben in »The Last of Us Part II« einige riskante, für ein AAA-Spiel ungewöhnliche Entscheidungen getroffen und darüber bin ich froh. Es gibt genügend Dinge, die mich stören, trotzdem empfinde ich allein schon die Existenz eines dermaßen sperrigen, oft unangenehmen AAA-Spiels als Bereicherung.
Fazit
Aufgrund seiner Stärken bin ich froh, »The Last of Us Part II« gespielt zu haben. Gleichzeitig steht fest: Diese Tour de Force gebe ich mir kein zweites Mal. Schon nach knapp einer Stunde war mir klar, dass sich die Handlung in eine höchst fatalistische Richtung bewegt. Über 30 Stunden später war ich lediglich noch davon überrascht, wie fatalistisch es dann im Detail wurde. Wären mir nicht einige Charaktere ans Herz gewachsen und das Ganze nicht so packend inszeniert, wäre ich wohl nicht freiwillig bis zum Ende am Ball geblieben. Nun brauche ich einen Kontrast zu diesem Festival der Abgründigkeit. Ich schätze, es ist nie zu spät, mit »Animal Crossing« anzufangen.
- Publisher: Sony
- Plattformen: PS4
- Veröffentlichungsdatum: 19. Juni 2020
- Preis: 62€