Nach nun mehr als 10 Jahren, erhält die traditionsträchtige Thief-Reihe eine Fortsetzung spendiert. Kann der Meisterdieb Garrett auch nach seiner langen Ruhepause noch begeistern?

Erster Eindruck

Nachdem man das Spiel gestartet hat, erscheint der stimmungsvolle Startscreen und empfängt mich mit den Worten „Willkommen in der Stadt, Meisterdieb“. Das ist ein sehr stimmungsvoller Einstieg, und das Startmenü erinnert mich von seiner Struktur und Schriftart her direkt an Tomb Raider (ebenfalls von Square Enix). Nur das statt einer düsteren Insel, eine düstere Stadtkulisse mit bewaffneten Wächtern zu sehen ist. Im Hintergrund läuft stimmungsvolle Musik, die mal ruhig und dann mal wieder mit schnellen Streichinstrumenten Interesse weckt. Die Immersion funktioniert. Sofort wird man in die Welt hineingezogen und startet das Spiel.

Bild Spielstart
Bild Spielstart

Es gibt verschiedene Schwierigkeitsgrade zur Auswahl. Schurke, Dieb und Meisterdieb. Die Unterschiede zwischen den Schwierigkeitsgraden liegen zum einen darin, dass es auf den höheren Schwierigkeitsgraden weniger Beute gibt, und da man die Beute benötigt, um sich neue Ausrüstung zu kaufen, ist das schon relevant. Ich habe auf „Dieb“ gespielt und hatte eigentlich immer genug Gold für meine Einkäufe. Auf „Meisterdieb“ könnte das allerdings auch anders aussehen. Außerdem darf man auf dem höchsten Schwierigkeitsgrad keine Zivilisten töten oder K.O. schlagen, und die Fokusanzeige lehrt sich schneller. Im Fokus-Modus sind interaktive Objekte blau hervorgehoben und man kann gewisse Spezialfähigkeiten, wie den sofortigen Knock-Out von Wachen im Kampf, aktivieren. Stellt Euch den Fokus-Modus ein wenig wie das Adlerauge von Assasin´s Creed vor, dann habt Ihr den richtigen Eindruck.

Danach startet das Spiel mit einem süffisanten Erzählpart des Meisterdiebs: „Eines hat mich diese Stadt gelehrt: Alles hat seinen Preis […] und wenn Du um etwas bitten musst, kannst Du es Dir nicht leisten. Andererseits, wann habe ich das letzte Mal für etwas bezahlt.“

Soweit macht Thief einen tadellosen Ersteindruck und zieht einen sofort in seinen Bann.

Die Spielmechanik

Die Spielmechanik ist insgesamt gut gelungen. Garrett schleicht, läuft und klettert tadellos durch die Straßen der namenlosen Stadt, zwängt sich durch kleine Spalten zwischen Häusern hindurch und scheint an manchen Stellen bei Faith von „Mirrors Edge“ in die Lehre gegangen zu sein. Aber Garrett als Parkour-Künstler macht durchaus Laune. Aber natürlich geht es bei unserem Meisterdieb hauptsächlich darum, durch Häuser zu schleichen und Wertsachen zu stehlen, die Laufsequenzen sind nur gelegentlich eingestreut, und dienen der Auflockerung des Gameplays.

Währenddessen Ihr durch die Villen reicher Leute schleicht, benutzt Ihr Glasflaschen oder stumpfe Pfeile um Wachen oder Hunde abzulenken, erstickt Kanarienvögel mit Giftpfeilen (damit diese einen nicht durch Ihr Zwitschern verraten), und benutzt Wasserpfeile um Lichtquellen auszuschalten. Dazu kommen noch Seilpfeile, um an bestimmten Orten hochklettern zu können. Mir persönlich hätte es allerdings besser gefallen, wenn man die Seilpfeile frei benutzen könnte, statt diese nur an vorgegebenen Balken zu befestigen.

Die Wachen, welche Straßen und Auftragsziele im Auge haben, patrouillieren meistens in festen Routen, oder haben bestimmte Stellen an denen sie stehen. Dabei gibt es ein mehrstufiges Alarmsystem. Wenn eine Wache etwas Ungewöhnliches bemerkt taucht über Ihrem Kopf ein Auge auf, passiert noch mal etwas erscheint ein zweites Auge, dann ein drittes, woraufhin die Wache in einen „gelben Modus“ übergeht. Dabei wird sie ihren normalen Wachplatz verlassen, andere Wachen alarmieren und Garrett suchen, da sie glaubt, jemanden entdeckt zu haben. Macht sie Garrett in diesem Zustand aus, wechselt sie in den „roten Modus“ und greift sofort an.

Tut mir leid - Mit einem Knüppel oder Pfeil und Bogen kann man die Wachen ausschalten
Tut mir leid – Mit einem Knüppel oder Pfeil und Bogen kann man die Wachen ausschalten

Ist alles verloren, wenn einen die Wachen erstmal entdeckt haben. Mitnichten. Mit einem Knüppel oder Pfeil und Bogen kann man die Wachen ausschalten. Sind es mehrere Wachen, empfiehlt sich jedoch die Flucht nach oben (auf Kisten oder Dächer), oder man sprintet schnell weg und versteckt sich im Schatten. Das System an sich ist sehr gut, allerdings hat es ein kleines Manko: Nachdem man den Sichtradius von alarmierten Wachen verlassen hat, vergessen diese einen etwas zu schnell und kehren mit einem lockeren „Wahr wohl doch nichts gewesen“-Spruch wieder auf ihre Posten zurück. Da hätte ich mir an der Stelle etwas mehr Konsequenz gewünscht, um die Hatz zwischen Licht und Schatten noch intensiver zu gestalten.

Nichtsdestotrotz, nachdem man zum ersten Mal die Routen von Wachen ausgekundschaftet hat, sich einen Plan zurechtgelegt hat, um an Ihnen vorbeizukommen, und dann mit List und Geschick an den Wachen vorbei schleicht, um dann noch halb in Sichtweite unter Zeitdruck ein Schloss zu knacken, freut man sich wirklich sehr und fühlt sich belohnt. Das Knacken von Türschlössern funktioniert übrigens sehr intuitiv über Bewegungen der Maus und ist meiner Meinung nach gut gelungen.

Schön sind auch Szenen, in denen ein Zivilist einen entdeckt, und dann nicht nur nahestehende Wachen alarmiert, sondern auch in weitere Räume läuft, um dort weitere Wächter zu alarmieren. So ist es mir in einer Gießerei einmal passiert. Das K.I. Verhalten ist also trotz kleinerer Schwächen gut gelungen.

Atmosphäre, Story, Charaktere

Der allergrößte Pluspunkt an Thief ist definitiv die Atmosphäre der namenlosen Stadt. Eine Mischung aus Mittelalter und viktorianisches England. Wachen mit Schwertern auf der einen Seite, aber dampfgetrieben Maschinen, Aufzüge und elektrisches Licht auf der anderen Seite. Die Stadt scheint immer dunkel zu sein (dabei musste ich ein wenig an den Film „Dark City“ denken), Hoffnungslosigkeit und Traurigkeit scheinen das Leben ersticken zu wollen. Die Straßen sind schmutzig, arme Menschen husten, betteln, sitzen am Straßenrand im Dreck, werden von Wachen angepöbelt und erniedrigt. Immer ist es windig, regnet, donnert oder Staubschwaden hängen in der Luft. Selbst das Licht der Sterne scheint irgendwie blass zu sein. Außerdem sind die Licht- und Schatteneffekte der düsteren Stadt mithilfe der Unreal-Engine schön umgesetzt.

Die Straßen sind schmutzig, arme Menschen husten, betteln, sitzen am Straßenrand im Dreck, werden von Wachen angepöbelt und erniedrigt.
Die Straßen sind schmutzig, arme Menschen husten, betteln, sitzen am Straßenrand im Dreck, werden von Wachen angepöbelt und erniedrigt.

Wenn dann zum ersten Mal jemand davon spricht, dass eine Krankheit in der Stadt grassiert, die von ihren Bewohnern als „Die Schwermut“ bezeichnet wird, kann man das sofort nachvollziehen. Allerdings scheint es sich bei dieser Schwermut nicht um Depressionen, sondern wirklich um eine Art magische Krankheit zu handeln. Mehr will ich an der Stelle aber nicht verraten. Möglicherweise ist „Die Schwermut“ eine reale Anspielung auf die rapide ansteigenden Fälle von Depressionen in unserer Gesellschaft und den gelegentlich daraus folgenden Todesfällen. In einer Gießerei (welche zur Leichenverbrennung genutzt wird), stellt ein Beamter fest, dass sich Todesopfer wegen „Der Schwermut“, durch das Aufschneiden der Handgelenke, selbst umgebracht haben. In solchen Momenten durchbricht das Spiel für mich die vierte Wand und lässt mich als Spieler auch einmal über die reale Schwermut unserer Gesellschaft nachdenken.

Die Licht- und Schatteneffekte der düsteren Stadt sind mithilfe der Unreal-Engine schön umgesetzt
Die Licht- und Schatteneffekte der düsteren Stadt sind mithilfe der Unreal-Engine schön umgesetzt

Wäre dieses Spiel nicht 2014, sondern 1880 erschienen, könnte man in ihm sogar echte Kritik an der Industrialisierung des 19. Jahrhunderts sehen, welche damals ja zu großer Verelendung geführt hat. Allerdings hatte ich bei dem Spiel niemals das Gefühl, dass es auf eine platte Art und Weise Gesellschaftskritik übt. Die Atmosphäre ist einfach so dicht, dass man selber anfängt, gewisse Vergleiche mit Geschichte und Gegenwart zu ziehen. Für die Atmosphäre gebührt Eidos Montreal ein großes Lob. Ich kenne bisher keine so kompromisslos intensive Darstellung industriellen Elends (in Spielen), wie es in Thief gezeigt wird.

Die wenigen Charaktere, denen Garrett dabei begegnet, bleiben leider blass oder unsympathisch.
Die wenigen Charaktere, denen Garrett dabei begegnet, bleiben leider blass oder unsympathisch.

Leider können Story und Charaktere in der Beziehung nicht ganz mithalten. Die Geschichte dreht sich um eine Art magischen Urstein, den der Baron der Stadt suchen und benutzen möchte, um ein neues industrielles Zeitalter anbrechen zu lassen. Dabei rückt Garretts übliches Diebesleben schnell in den Hintergrund und er wird zu einer Art unfreiwilliger Held. Die wenigen Charaktere, denen Garrett dabei begegnet, bleiben leider blass oder unsympathisch. Darunter auch Aryn, welche die große weibliche Nebenrolle ist. Bis zum Schluss (und darüber hinaus), wurde niemals klar, ob Aryn Garretts Geliebte, Kindheitsfreundin oder (wie manche Spieler vermuteten) vielleicht sogar seine Schwester ist. An dieser Stelle wurde Potenzial verschenkt.

Sonstiges

Ansonsten fällt noch auf, dass das Abenteuer sehr linear ist. Es gibt in den Story-Missionen meistens einen ganz bestimmten Weg, den es zu nehmen gilt, wenn man sein Ziel erreichen will. Immerhin können die Story Missionen durch einen gewissen Abwechslungsreichtum begeistern. An einer Stelle kommt man in ein Irrenhaus (namens Arkham Asy… ähm ich meinte Moira Asylum), in der man eine Art Horrormission bewältigen muss.

Das Irrenhaus Moira Asylum
Das Irrenhaus Moira Asylum

Außerhalb der Story Missionen kann man allerdings auch frei in der Stadt umherstreifen und in besondere Häuser wie z. b. einen Wachposten oder einen Juwelier einbrechen, und dort auch besondere Diebesbeute ergattern. Z. B. findet man beim Juwelier eine goldene Maske, die allerdings mit gefälschten Edelsteinen (aus Glas) besetzt ist und für die Leiterin eines „Etablissments“ gedacht ist, von welcher der Juwelier annimmt, sie werde den Unterschied eh nicht bemerken. Solch kleine Geschichten und Diebereien am Wegesrand, bereichern das Gameplay.

Außerdem gibt es auch noch ein kleines RPG-artiges Aufstiegssystem. Garrett erhält nämlich mit der Zeit Upgrades, sog. Fokuspunkte, welche es ihm erlauben seine Diebesfähigkeiten aufzurüsten. Z.b. kann er sich besser verstecken, präziser mit dem Bogen schießen, oder Gegner leichter überwältigen. Ich denke, dass dieses System gut war, aber im Prinzip noch weiter hätte ausgebaut werden müssen.

Fazit:

Thief ist schwierig zu bewerten. Licht und Schatten geben sich bei Thief, in den 10-15 Stunden Spielzeit, auch metaphorisch die Hand. Die allgemeine Spielmechanik und Grafik ist gut, und dazu gibt es eine unglaublich dichte traurige Atmosphäre (untermalt von bedrohlicher Musik und Soundeffekten). Allerdings fallen die Geschichte und die Charaktere an einigen Stellen etwas flach. Dazu stört die Linearität der Hauptmissionen, die eigene diebische Kreativität. Trotzdem ist Thief insgesamt ein gutes Spiel, dass mir beim Spielen Freude gemacht hat. Der Diebesalltag wird durch viele unterschiedliche Schauplätze aufgelockert, und Garrett erhält mit der Zeit mehr Ausrüstung und Fähigkeiten. In Zukunft sollte Eidos Montreal die Stärken von Thief konsequent ausbauen, und die Schwächen in Story und Linearität ausbügeln, damit Thief ein sehr guter Titel wird.

Unser Redakteur Florian gehört zu der Gruppe Spieler, die in ihrer Jugend die allerersten Gehversuche der Spieleindustrie mit "Pong "auf dem Atari, dem Commodore C 64, oder dem ersten Sim City miterlebt haben.

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