Der Ende 2017 gegründete eSport-Bund Deutschland (ESBD) bejaht dies klar – und setzt sich für die Anerkennung desselben als Sportart bundesweit ein. Aber was für den einen selbstverständlich, ist noch lange nicht allgemein anerkannt. Um die Stellung des eSports als Sport – und damit mit sämtlichen rechtlichen Vorteilen und auch Verpflichtungen einer anerkannten Sportart – zu legitimieren, braucht es die Politik. Die hat sich dem Thema durchaus fleißig angenähert: Zum ersten Mal überhaupt eröffnete Bundeskanzlerin Angela Merkel im vergangenen Jahr die weltweit größte Spielemesse, die Gamescom, in Köln. Und ihre Betonung darauf, dass »Computer- und Videospiele(n) […] als Kulturgut, als Innovationsmotor und als Wirtschaftsfaktor […] allergrößte Bedeutung [haben] « ließ das Spielerherz höher schlagen – und hoffen. Darauf nämlich, dass auf die blumigen Worte Taten folgen mögen, dass sich die Bundesregierung aktiv für die Förderung der Videospielkultur einsetzt und damit auch für den eSport als zentrale Sparte des Gaming. Und tatsächlich: Im Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD heißt es, man wolle »eSports künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen«.
Die Begründung: eSports schule »wichtige Fähigkeiten, die nicht nur in der digitalen Welt von Bedeutung sind und die Training und Sportstrukturen erfordern«. Die Anerkennung als Sportart, so ESBD-Präsident Hans Jagnow, sei Grundvoraussetzung für eine »Integration in die Sportförderung der Länder, die Reisefreiheit für Berufs-eSportler und Coaches und den Aufbau einer breiten Amateurstruktur«. Wer also (gefördert) spielen will, muss politisch aktiv werden. Aber wie gestaltet sich eigentlich die faktische Umsetzung der theoretischen Zugeständnisse? Was ist bislang dabei rumgekommen, wenn man so will? Und wie plant die Bundesregierung, das Versprechen der Förderung und Anerkennung von Spielen allgemein und dem eSport als Sportart im Besonderen umzusetzen? Gemeinsam mit GAIN-Magazin-Autorin Nora Beyer erarbeitete das Büro der Abgeordneten Britta Katharina Dassler und der Fraktion der FDP eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung. Thema: Anerkennung des eSports als Sport. In einem Fragenkatalog mit insgesamt 49 Fragen zum Thema wurden die im Koalitionsvertrag gemachten Versprechen der Bundesregierung hinsichtlich der Anerkennung des eSports als Sport auf Herz und Nieren geprüft. Das Resultat? Lest selbst.
eSport is here to stay
Inzwischen füllen eSport-Veranstaltungen ganze Stadien. Allein 2016 verfolgten etwa 43 Millionen Zuschauer das League of Legends World Championship Final, das entscheidende siebte Finalspiel der US-Basketball-Liga hingegen nur 31 Millionen Menschen. Insgesamt belief sich das Publikum von eSport-Turnieren allein 2016 auf rund 323 Millionen Zuschauer. Der weltweite Umsatz des eSports ist entsprechend hoch. Lag er 2016 noch bei knapp 500 Millionen US-Dollar, hat er sich in diesem Jahr beinahe verdoppelt (über 900 Millionen US-Dollar) (Quelle: Statista). Tendenz steigend. Die Bedeutung des eSports kann also zumindest bei der derzeitigen Entwicklung kaum überschätzt werden. Die bisherige Ignoranz der Politik, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, ist daher nicht nur aus kultureller, sondern auch aus ökonomischer Perspektive verwunderlich. Fakt ist, eSport is here to stay.
Was aber ist eigentlich eSport und wie grenzt er sich zu konventionellem Gaming ab? Hierzu liefert die Bundesregierung ausdrücklich keine Definition, orientiere sie sich doch »am Begriffsverständnis der organisierten Sportverbände [und] definiert weder die Bezeichnung von Sportarten noch deren Abgrenzung zu anderen Begriffen«. Dies verwundert insofern, als die Bundesregierung doch schwerlich ohne irgendeine Definition von eSport denselben als expliziten Part im Koalitionsvertrag festschreiben kann. Denn: Habe ich keine – zumindest interne – Definition von sozialer Gerechtigkeit und verweise lediglich auf Externe, kann ich schwerlich ebensolche propagieren.
Abwarten und Tee trinken
Auf die Frage, welche Bedeutung die Bundesregierung dem eSport in Hinblick auf Kultur, Sport, Wirtschaft, Forschung und Bildung zumisst, ergibt sich eine für die Gänze der Kleinen Anfrage symptomatische Antwort: Die Wirkung im kulturellen und auch wirtschaftlichen Bereich wird vorbehaltlos eingestanden – zumindest das hat die Videospielkultur zwischenzeitlich erreicht: »Video- und Computerspiele sind Kultur- und Wirtschaftsgüter und können an Genres, Themen und Inhalten so vielfältig sein wie zum Beispiel Bücher, Filme oder Theaterstücke. Bei digitalen Spielen werden traditionelle kulturelle Ausdrucksformen, zum Beispiel Musik oder visuelle Ästhetik zu einer eigenen kulturellen Ausdrucksform zusammengeführt«. Der Wirkung in anderen Bereichen steht man aber an politischer Stelle offensichtlich abwartend-passiv gegenüber. Der Tenor: Abwarten, wie es sich entwickelt. Die am häufigsten wiederholte Phrase: »Hier ist die weitere Entwicklung abzuwarten«. Dies gilt gerade auch im Bereich Sport: »Hier ist vor einer Bewertung die weitere Entwicklung innerhalb des organisierten Sports abzuwarten. Dabei sind im Rahmen der Verbandsautonomie zunächst die Institutionen des Sports gefordert, eine sportfachliche Position zu entwickeln«. Immerhin: Die Mitglieder des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) haben auf ihrer Jahresversammlung im Dezember 2017 beschlossen, dass der DOSB eine Arbeitsgruppe zum Thema eSport einrichtet. Diese hat die Aufgabe, bis zur nächsten Versammlung im Dezember 2018 eine Position zu erarbeiten, an der sich Sportvereine und -Verbände orientieren können.
Vision und Wahn
Interessant: Zwar begreift die Bundesregierung den Standort Deutschland »aufgrund seiner Infrastruktur sowie der vorhandenen Erfahrungen und Kompetenz im Veranstaltungsmanagement« als attraktiven Ausrichtungsort für eSport-Veranstaltungen (Frage 3). Ein wirkliches Commitment, diesen dann in logischer Konsequenz auch zu nutzen und politisch eindeutig zu fördern, ergibt sich daraus aber nicht. Anstatt der proaktiven Haltung, wie sie im Koalitionsvertrag formuliert wurde, scheint de facto eine passiv-abwartende Beobachterposition eingenommen zu werden, die die Verantwortung für die Anerkennung und Förderung des eSports primär auf externe Akteure schiebt. Bezeichnend ist hierbei vielleicht auch, dass bislang keines der Mitglieder der Bundesregierung in seiner offiziellen Funktion als Gast an eSport-Veranstaltungen teilgenommen hat (Frage 5) und dass keinerlei Projekte zum Thema auf internationaler oder nationaler Ebene durchgeführt werden (Frage 6). Auch hier verweist die Regierung lediglich auf ihre Beobachterposition. Im Hinblick auf den Wortlaut der Koalitionsvereinbarung besonders verwunderlich: Auf die Frage, wann die Regierung denn die propagierte vollständige Anerkennung des eSports als Sport plane und was sie unter einer »vollständigen Anerkennung« überhaupt verstehe, erfolgt die lapidare Antwort: »Es gibt kein Anerkennungsverfahren für Sportarten durch die Bundesregierung« (Frage 8). Warum dann aber die in diesem Kontext nun allzu vollmundig scheinende Behauptung in der Koalitionsvereinbarung? Eine sportfachliche Auslegung obliege allein dem DOSB. Auch auf die konkrete Nachfrage, welche rechtlichen und politischen Maßnahmen die Regierung für die Anerkennung des eSports treffen wird, wird wieder auf die Antwort zu Frage 8 verwiesen: »Es gibt kein Anerkennungsverfahren für Sportarten durch die Bundesregierung«. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Aber wie kann es sein, dass die Anerkennung des eSports vollmundig propagiert wird, um dann im Nachhinein darauf hinzuweisen, dass die Anerkennung desselben gar nicht in der eigenen Verantwortung liegt?
Das ist in etwa so, als würden einem Erdbeeren von blühenden Feldern versprochen, damit sich dann herausstellt, dass weder die Bepflanzung noch die Ernte der Felder in der Hand desjenigen liegt, der uns ebendiese versprochen hat. Mehr noch: In der Antwort zu Frage 24 zitiert die Bundesregierung direkt die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Sportart und für die Aufnahme eines Sportverbands (hier des ESBD) in den DOSB: »Diese setzen unter anderem voraus, dass es sich um eine Betätigung handelt, die eine eigene, die Sportart bestimmende motorische Aktivität der Sportler zum Ziel hat. Dass die von eSportlerInnen benötigten Fähigkeiten (zum Beispiel Hand-Augen-Koordination und Reaktionsvermögen) diesem Erfordernis entsprechen, ist derzeit nicht allgemein anerkannt.« Damit folgt die Regierung nicht nur unkritisch den Vorgaben des DOSB, sondern rudert quasi auch mit ihrer im Koalitionsvertrag visionären Zielsetzung klar zurück. Sie verweist hier nicht nur auf ihre Beobachterposition, sondern in einem weitergehenden Schritt zusätzlich darauf, dass eSport allgemein ja gar nicht als Sport anerkannt sei. Um im Erdbeer-Bild zu bleiben: Die Verantwortung für das Erdbeer-Desaster obliegt uns nicht, da wir dafür nicht zuständig sind. Und übrigens haben wir von den Zuständigen (die nicht wir sind) gehört, dass das da auf dem Feld gar keine Erdbeeren, sondern Fliegenpilze sind.
Der Zirkelschluss der Politik
Besonders enttäuschend: Mit Verweis auf die »bislang nicht gesicherten Informationen zum Verhältnis zwischen Sport und eSport hinsichtlich der gesellschaftlichen Legitimation« – gibt es dazu tatsächlich keine Forschung oder zieht die Regierung nur schlicht keine heran? – positioniert sich die Regierung auf die Frage, wie sie die Legitimation von eSport als Sport auch im öffentlichen Diskurs beziehungsweise der öffentlichen Wahrnehmung fördern will – eben das, was im Koalitionsvertrag formuliert wurde, eindeutig: »Die Bundesregierung sieht keine Veranlassung, sich hier an einem öffentlichen Diskurs zu beteiligen« (Frage 36). Auch auf europäischer bzw. internationaler Ebene wird die Bundesregierung »erst nach der möglichen [!] Etablierung der Aktivitäten, die unter eSport subsumiert werden« aktiv werden.
Dass die Regierung in ihrer Argumentation hier einem klassischen Zirkelschluss unterliegt, fällt ihr offenbar gar nicht auf. Ein Zirkelschluss bezeichnet in der Logiklehre der Philosophie eine fehlerhafte Argumentation, die ins Leere verläuft, da sie eine Konklusion auf Prämissen aufbaut, die die Konklusion bereits voraussetzen. Anders gesagt: »Circular reasoning is a logical fallacy in which the reasoner begins in what they are trying to end with«. Kurz: A ist wahr, weil B wahr ist. B ist wahr, weil A wahr ist. Der Tenor der Kleinen Anfrage ist: Die Bundesregierung wird sich erst dann für die Anerkennung des eSports als Sport einsetzen, wenn dieser etabliert ist. Das aber läuft auf einen Zirkelschluss hinaus, denn es heißt nichts anderes als: Die Bundesregierung wird sich erst dann für die Anerkennung des eSports als Sport einsetzen, wenn dieser anerkannt ist. Die Voraussetzung für die Anerkennung des eSports als Sport ist aber, dass sich die Bundesregierung für die Anerkennung desselben einsetzt. Und was bei Molière & Co. (siehe Molières Mediziner) und den Größen der Philosophie schon nicht gefruchtet hat, wird auch im Kontext der Anerkennung des eSports als Sport nirgendwohin führen. Was nötig – und überfällig – wäre, wäre eine klares Bekenntnis und ein aktiver Einsatz von politischer Seite. Aber das ist, zumindest im politischen Kontext, ja zur Abwechslung mal nichts Neues.
Dieser Artikel ist bereits in Ausgabe #8 am 07.12.18 erscheinen.