Modding, Monolith, »Spec Ops: The Line«. Spieleentwickler Cory Davis scheut ausgetretene Pfade und stellt Vieles infrage. Aus dem Leben und Schaffen eines Getriebenen.

Umso mehr ich über den kreativen Leiter und Lead Designer von »Spec Ops: The Line« erfahre, desto mehr realisiere ich: Die interaktive Reise ins Herz der Finsternis war prädestiniert für Cory Davis. Via Skype treffe ich den US-Amerikaner im Homeoffice an, wo er an einem bislang unbekannten Spiel arbeitet. In den folgenden drei Stunden lerne ich einen aufgeschlossenen Menschen kennen, der Eindruck hinterlässt.

Glaubensfragen

Im Alter von fünf zieht Cory mit seiner Familie von New Orleans nach Bakersfield in Kalifornien, nicht ahnend, wie tragisch der neue Lebensabschnitt beginnen würde. »Ich hatte einen älteren Bruder, der unter dem Down-Syndrom litt. Er war mein bester Freund, er bedeutete mir alles. Als wir nach Bakersfield umgezogen sind, ist er im Flieger an Herzversagen gestorben. Wir sind in Kalifornien angekommen und nichts ist mehr gewesen, wie es war.« Die nächste Tragödie sollte leider nicht lange auf sich warten lassen. »Ich besaß einen Hund, der mir in den ersten Monaten sehr geholfen hat, mit der Trauer umzugehen. Leider war er nicht gut trainiert. Er hat ein junges Mädchen verletzt, daraufhin ist er eingeschläfert worden. Diese beiden Ereignisse haben mich früh dazu gebracht, mir Fragen zu stellen, die mich bis heute beschäftigen: Gibt es einen Grund für schlimme Dinge, die uns widerfahren? Haben wir in unserem Leben eine Aufgabe zu erfüllen? Was kommt nach dem Tod?« In einer Mormonen-Familie aufgewachsen, beobachtet der heutige Familienvater, wie seine Eltern in ihrer Religion nach Trauerbewältigung suchen. »Solche Ideologien bieten etwas, das sich nach einem sicheren Ort anfühlt, wenn es dir nicht gut geht. Mir wurden Antworten angeboten, die sich zu simpel anfühlten. Als Kind habe ich meinen Eltern nicht gesagt: ›Hey, ich bin Atheist, ich komme nicht mit in die Kirche!‹ Dass ich meinen inneren Konflikt nicht offen austrug, änderte aber nichts an meiner wachsenden Skepsis.«

Früh entwickelt Davis eine Faszination für Geschichten, die in der realen Welt verankert sind, diese aber um »fremdartige Elemente« erweitern. »Ich muss neun oder zehn gewesen sein, als ich auf H.P. Lovecraft gestoßen bin. Mir ist klar, dass er ein sehr schlechter Einfluss sein kann, und ich werde ihn als Person nicht verteidigen. Tatsächlich glaube ich, dass seine Ideologie mit einer ähnlichen Form von Psychose verknüpft ist, wie wir sie auch bei extrem religiösen Menschen sehen. Von den unangenehmen Seiten abgesehen hat mich Lovecraft fasziniert. Ich habe bei ihm eine starke Abscheu vor sich selbst herausgelesen, einen Zwiespalt. Auch in meiner Arbeit spielt das eine große Rolle. Ich bin interessiert an Figuren, die gezwungen sind, ganz tief in sich selbst hineinzuschauen und diesen Prozess auf die Spieler übertragen.«

Immersion in verschiedensten Facetten

»In der Natur finde ich viel Frieden«, verrät mir Cory. »Ich liebe Gesellschaft, aber ich brauche meine Pha- sen des Alleinseins. Am liebsten an Orten, an denen es keine Telefonnetze gibt, ich dem Lärm um mich he- rum entfliehen kann und nichts auf andere Menschen hindeutet. Musik kann in mir einen ähnlichen Zustand auslösen und mich aus allem anderen herausreißen.« Inspiriert durch die Musik-Leidenschaft seines Vaters beginnt Cory mit circa neun Jahren das Gitarrespielen. In den Folgejahren spielt er in mehreren Bands, auch in seiner Karriere als Spieleentwickler soll Musik noch eine wichtige Rolle spielen. »Als ich auf ›Nine Inch Nails‹ stieß, war das meine Eintrittskarte in Klangwelten, in denen ich mich bis heute gerne aufhalte. In den 90ern habe ich ›Nine-Inch-Nails‹-Songs in Midi-Dateien um- gewandelt und sie in ›Quake‹ und ›Doom 2‹ eingebaut. Heute mag das furchtbar klingen, damals war es der Hammer! Als ich in die Spieleindustrie gekommen bin, war mein Arbeitsbereich als Level Designer komplett von der Musik getrennt, später habe ich es zunehmend geschafft, meinen Musik-Hintergrund einzubringen. Bei ›Spec Ops: The Line‹ war ich stark in die Produktion des Soundtracks eingebunden und habe allein ein knappes Jahr damit verbracht, die richtige Form von Sound-Ver- zerrung zu finden.«

Kurz nach der Ankunft in Bakersfield kauft Corys Vater einen Computer. Der Sohn sammelt erste Spielerfahrung mit Klassikern wie »Asteroids«, »Joust«, »Space Invaders« und »Frogger«. »Immersion machte von Anfang an einen großen Teil meiner Faszination aus. Selbst ein ›Space Invaders‹ sog mich so tief rein, dass sich die Weltraumerfahrung glaubhaft anfühlte. Irgendwann zeigte mir mein Dad eine simple Anwendung, mit der man 2D-Pixel-Grafiken erstellen konnte. Als Teenager bastelte ich dann Mods zu Spielen wie ›Shogo‹ und ›Blood II‹.« Nach der Schule beginnt der »mittelmäßige Schüler« ein Architektur-Studium in Texas. »Einige der 3D-Anwendungen an der Uni waren den vertrauten Modding-Tools nicht unähnlich. Sollte ich jemals die Spielebranche verlassen, könnte ich mir vorstellen, tatsächlich Architekt zu werden. Viele Leute merken nicht, was für einen starken Einfluss Architektur auf ihr Unterbewusstsein hat. Mich fasziniert die Symbolsprache, die in der Architektur zu finden ist. In ›Spec Ops: The Line‹ spielt das ebenfalls eine Rolle.« Dass Cory Davis sein Studium nicht abschließt, liegt nicht zuletzt an einem Professor, der seine Mods sieht und ihn früh ermutigt, sein Talent in der Spieleentwicklung weiterzuverfolgen. Mit Gleichgesinnten beginnt Cory circa 2003, eine Dodgeball-Mod für »Half-Life« zu entwickeln, die ein beachtlicher Erfolg wird. Als besonders wegweisend erweist sich die Zusammenarbeit mit Teilen der spanischen »Half-Life«-Modding-Community. Deren Können beeindruckt Davis so sehr, dass er mehrere Jahre später einige seiner spanischen Dodgeball- Partner ins Entwicklerteam von »Spec Ops: The Line« holt und teilweise noch heute mit ihnen arbeitet.

»Wie sehr das Spiel in die falsche Richtung lief, war offensichtlich«

Nach besagter »Half-Life«-Mod wartet 2006 ein Job bei den Shooter-Experten von Monolith Productions. Als Junior Level Designer der »F.E.A.R.«-Erweiterung »Extraction Point« und Level Designer von »Codemned 2« verdient sich Cory Davis weitere Sporen. Auf seine wichtigsten Erkenntnisse der Monolith-Jahre angesprochen, verrät er: »Ich wurde ein Experte darin, Gesamtzusammenhänge zu verstehen, mir das Level-Layout von anderen anzusehen und herauszuarbeiten, warum es nicht funktioniert. Bei der Suche nach Lösungen musst du immer auf die Konsistenz achten, den persönlichen Touch des Level-Designers möchte ich dabei trotzdem nicht ausradieren.« Nach positiven Erfahrungen bei Monolith sorgt eine »F.E.A.R.«-Fortsetzung für Querelen. »›Condemned 2‹ war vermutlich die durchdachteste Produktion, die ich erlebt habe. Wir hatten ein erfahrenes Team, eine starke Vision und hielten unsere zeitlichen Vorgaben ein. Innerhalb des Teams herrschte eine tolle Feedback-Kultur. Nach dem Erfolg von ›F.E.A.R.‹ wurde parallel ein Nachfolger in Auftrag gegeben, an dem zunächst das Team des ersten Teils arbeitete.

Als Monolith zwischenzeitlich die Markenrechte verlor, wurde das Team von ›F.E.A.R. 2‹ abgezogen und das Projekt unter dem Namen ›Project Origin‹ fortgeführt. Etwas später konnte Monolith die Rechte zurückgewinnen, das Projekt befand sich nun aber in der Hand von sehr unerfahrenen Leuten, die noch nicht lange im Unternehmen waren. Wie sehr das Spiel in die falsche Richtung lief, war offensichtlich.« erläutert Cory. »Unter anderem fuhr es die Horror-Elemente des Originals stark zurück und erhöhte den Action-Fokus. Einige meiner ›Condemned-2‹-Kollegen und ich nahmen uns parallel zu unserer eigenen Produktion viel Zeit, um Feedback zu geben, das ignoriert wurde. Ich habe meinen Vorgesetzten das Versprechen abgerungen, niemals an ›Project Origin‹ arbeiten zu müssen und rate mal, bei welchem Projekt ich gelandet bin, als wir mit ›Condemned 2‹ fertig waren.« Zähneknirschend arbeitet Cory Davis am »F.E.A.R.«-Nachfolger, während sich parallel eine riesige Chance namens »Spec Ops: The Line« abzeichnet.

Die zweite Hälfte des Porträts, in der Cory ausführlich über die Spec-Ops-Entwicklung und prägende Erfahrungen in Berlin spricht, findet Ihr in unserer aktuellen Ausgabe 17.

Ingmar liebt Action-Adventures à la »Uncharted« und »God of War«, ballert sich gerne mal im Solo-Modus durch Ego-Shooter wie »Doom Eternal« oder »Bulletstorm« und ist immer für starke Videospielgeschichten zu haben. Beispielsweise im Fall von »The Witcher 3«, »What Remains of Edith Finch« oder »Life is Strange«.

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