Als Ingmar und ich nach einem Thema für einen gemeinsamen Retrospielepodcast suchten, einigten wir uns sehr schnell auf »Max Payne« – ein Spiel, über das ich schon sehr lange mal sprechen wollte, da es ein sehr wichtiger Bestandteil meiner ganz persönlichen Gamer-Vita ist.
Und in dem Moment war mir auch klar, dass ich dafür nochmal versuchen musste, den ehemaligen Remedy-Lead-Programmierer Markus Stein zum Gespräch zu bekommen. »Nochmal« deshalb, weil ich zur ursprünglichen Veröffentlichung des Spiels bereits ein Kurzinterview mit ihm geführt hatte, seinerzeit noch für meinen damaligen Brötchengeber »GameStar«. Und nach kurzer Recherche stellte sich heraus: Markus hatte seitdem nicht nur einen höchst interessanten Karrierewandel hinter sich, sondern auch Zeit und Lust auf eine sehr interessante Fragerunde, die wir euch (mit seiner Erlaubnis) nicht vorenthalten möchten. Das ist zwar kein Interview im klassischen Sinne, sondern vielmehr ein Q&A, bei dem es mir in erster Linie um die Beantwortung von recht spezifischen Fragen ging. Aber Markus’ Antworten waren so ausführlich und aufschlussreich, dass jeder, der sich für die Entwicklung eines der faszinierendsten Spiele der frühen 2000er interessiert, sicherlich ebenfalls Gefallen daran finden wird.
Viel Spaß mit dem Interview, und viel Spaß mit dem Podcast!
Paul Kautz (www.gamenotover.de)
Interview mit Markus Stein
Wie kam’s, dass ein deutscher Demo-Programmierer zum Haupt-Coder eines finnischen Shooters wurde?
Einige Freunde und ich haben Anfang der 90er-Jahre unter dem Namen »Dust« Demos programmiert. Unsere erste große »Demo-Party« war die »Assembly« 1993, bei der wir mit »Saga« in der Kategorie »PC-Demos« Dritte geworden sind. Bei »The Party« in Dänemark haben wir im gleichen Jahr in derselben Kategorie mit »Untitled« sogar den ersten Platz gemacht. Und 1994 sind wir nochmals nach Finnland zur »Assembly« gefahren, da habe ich den »PC-4K«-Demo-Wettbewerb gewonnen, der damals zum ersten Mal stattfand. »4K« bedeutet hier, dass Code und Daten insgesamt lediglich 4096 Bytes umfassen dürfen. Während all dieser Demo-Partys haben wir uns mit den Leuten von Future Crew angefreundet, die Remedy damals mitbegründet haben, um Spiele zu entwickeln. Über diese Freundschaft hat es sich ergeben, dass ich erst von zuhause aus mitprogrammiert habe, dann im Sommer 1996 zunächst für 3 Monate nach Finnland gegangen bin, und schließlich Anfang 1997 nach Espoo in die Nähe von Helsinki gezogen bin.
Warst du auch am Design des Spiels beteiligt, oder hast du dich aufs Programmieren konzentriert?
Wir waren alle mehr oder weniger am Design von »Max Payne« beteiligt, aber ich würde meinen Anteil eher als technisch sehen. Es braucht technisches Design, um Funktionalität in Spielen zu gewährleisten und Tools, damit Grafiker und Designer ihre Ideen umsetzen können. Ende der 90er gab es so gut wie keine fertigen Tools am Markt, weshalb wir fast alles selbst programmiert haben – und, hätte es fertige Engines gegeben, hätten wir sie uns nicht leisten können. Die Zeitlupenfunktion »Bullet Time« wurde indirekt durch unsere große Detailversessenheit möglich. Jahrelang haben wir Animationen, Partikelsystem etc. so entwickelt, dass sie auch in Zeitlupe toll aussahen, und wenn man das Bild einfriert. Die Idee, das als Mechanik ins Spiel einzubauen, kam uns allerdings erst sehr viel später. Ich denke, das ist ein gutes Beispiel dafür, wie Design und Programmierung ineinander verzahnt sind. Damals war »Max Payne« »cutting edge« und am Limit dessen, was man aus dem PC herausholen konnte. Die Basis dafür wurde über unsere Programmierung gelegt und die Grafiker und Designer haben dann geschaut, was sie alles damit machen können. Inhaltlich war ich nicht maßgeblich am Design des Spiels beteiligt.
Was war programmiertechnisch für dich die größte Herausforderung in »Max Payne«?
Die größte Herausforderung war die schiere Größe des Projektes. Niemand von uns hatte viel Erfahrung damit, große Projekte zu entwerfen oder zu leiten. Da gab’s viel Trial and Error. Eine weitere Herausforderung war, dass damals die ersten 3D-Grafikkarten auf den Markt kamen. Angefangen haben wir mit einem Software-Renderer, der es nicht mehr ins fertige Spiel geschafft hat. Der erste Prototyp war noch in isometrischem 3D. Während der langen Entwicklungsdauer wollten wir gleichzeitig mit der technischen Entwicklung mithalten, was mehr und mehr Arbeit nach sich gezogen hat. Im Laufe der Entwicklungszeit haben wir manche Teilsysteme mehrfach komplett überarbeitet.
Wie war die Arbeitsatmosphäre bei Remedy?
Besonders zu Anfang war die Arbeitsatmosphäre bei Remedy sehr kreativ. Wir haben einfach ausprobiert. Wir waren alles Autodidakten und heiß darauf, das Maximum aus dem PC herauszuholen. Die meisten von uns haben von Erspartem gelebt. Das Geld, das reinkam, ging für Miete und Hardware drauf. Das war die beste, kreativste Phase :) Später, als das mediale Interesse an »Max Payne« wuchs, wurde es dann anstrengender. Plötzlich hatten wir Erwartungen zu erfüllen, damit Kosten gedeckt werden und Verkaufszahlen erreicht werden konnten. 3D Realms hat »Max Payne 1« meiner Meinung nach mit ihrem »When-it’s-Done«-Prinzip qualitativ gerettet. Bis ein paar Monate vor Release war es einfach nicht fertig. Es war zwar alles da, aber der Spaß hat gefehlt, es gab viele Ecken und Kanten. Der Spielspaß kam erst mit dem Polishing. Irgendwann hat uns Entwicklern das Spielen von »Max Payne« Spaß gemacht. Da bekamen wir eine Ahnung, dass das ein großes Ding werden könnte…
Mit dem Beginn von »Max Payne 2« waren die wirtschaftliche Erwartung und der Druck dann riesig. Und weil von Anfang an das Releasedatum feststand, wir aber weiterhin kreativ und möglichst frei entwickeln wollten, hat das nicht gut zusammengepasst. Im Team war der Zusammenhalt aber meist gut. Wir konnten nur leider nicht mehr alles ausprobieren, was wir gerne probiert hätten: das Projekt musste ja fertig werden. Um das Spiel vor Weihnachten fertig zu stellen, haben wir sehr, sehr viel gearbeitet. Das ging ordentlich an die Substanz und nahm der Arbeit und der ganzen Sache den Spaß.
»Max Payne« war, wenn ich recht informiert bin, etwa vier Jahre in Arbeit. Dämlich gefragt: Was hat da so lange gedauert?
»Max Payne« war sogar fünf Jahre lang in Entwicklung. Die Größe des Projekts und die schnelle Weiterentwicklung von PC-Hardware haben ihren Teil dazu beigetragen. Wir haben alles vielfach überarbeiten müssen, es sollte ja immer alles am Puls der Zeit sein. Und während wir überarbeitet haben, ergaben sich neue Möglichkeiten, die wir auch noch nutzen wollten. Wir hatten immer wieder neue Ideen, die wir ausprobieren wollten. In vielerlei Hinsicht waren wir auch naiv bzw. fehlte uns die Erfahrung. Wir hatten beispielsweise einfach keine Ahnung, was man so alles braucht, damit das Projekt zu einer runden Spielerfahrung wird. Unsere Herangehensweise würde ich heute als kreativ-chaotisch beschreiben. Für das Projekt und das Ergebnis war das super. Dafür hat’s eben sehr lange gedauert. Heute würden wir natürlich alles anders machen ;-)
Die Figuren im Spiel und in den Cut-Scenes wurden größtenteils von Remedy-Angestellten und deren Angehörigen und Freunden verkörpert. Hast du dich selbst ebenfalls ins Spiel befördert?
Ohne nennenswertes Budget konnten wir uns keine Schauspieler leisten, weshalb alle Figuren im Spiel durch uns Entwickler, Freunde oder Familienangehörige dargestellt werden. Ich selbst trete als Gangster in den ersten Spielabschnitten auf, trage ein Hoodie. In den Comic-Szenen bin ich der Polizist, der Max Payne (Achtung: Spoiler!:) am Ende verhaftet. Dreifach geklont sogar, glaube ich.
Kannst du dich noch an ein, zwei Anekdoten aus der Entwicklung erinnern?
Immer, wenn ich während der Entwicklung von »Max Payne 1« in Deutschland Familie und Freunde besucht habe, haben die natürlich gefragt, wann das Spiel denn endlich fertig werde. Ich habe dann geantwortet, dass es in einem Jahr sicherlich fertig ist. Das ging Jahr für Jahr so, wurde fast ein Running Gag. Irgendwann habe ich aufgehört, zu sagen, dass es in einem Jahr fertig wird. Ich hatte schlicht keine Ahnung.
Kurz vor Release der Konsolenversionen war 9/11. Die Twin-Tower in NY/Manhattan kamen mehrfach im Spiel vor. Der Publisher hat darum gebeten, die Türme aus dem Spiel zu entfernen, weshalb sie in den Portierungen nicht mehr zu sehen sind.
Wieso hast du dich nach »Max Payne 2« aus der Spielebranche verabschiedet und einen ziemlich drastischen Karrierewechsel vollzogen?
Ich habe sehr jung auf dem C64 mit dem Programmieren angefangen. Als »Max Payne 2« fertig wurde, hatte ich mich insgesamt knapp 20 Jahre mit Programmierung beschäftigt. Eine große Motivation für mich war es wirtschaftlich und medial erfolgreich zu sein. Als sich dieser Erfolg dann einstellte, habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr davon brauche. Das war dann irgendwie »durch«. Ich hatte am Ende von »Max Payne 1« einen Burnout. Und einen noch heftigeren am Ende von »Max Payne 2«. Es war an der Zeit, etwas zu ändern. Spielprogrammierung scheint auf den ersten Blick aufregender zu sein als andere Software zu programmieren. Am Ende ist Programmierung die Herstellung von Software und der Inhalt zweitrangig. Man löst technische Probleme, eins nach dem anderen.
Am Programmieren hatte mich insbesondere herausgefordert, die Realität grafisch und technisch möglichst originalgetreu auf den Computer umzusetzen. Ich bin irgendwann aufgewacht und habe bemerkt, dass die Realität, so wie sie ist, schon perfekt ist und keine Umsetzung auf den PC benötigt. Jeder kann daran teilhaben, Du musst nur Augen und Ohren öffnen. Schließlich habe ich entdeckt, dass ich lieber mit und für Menschen arbeite. Körper und Geist sind sehr lohnenswerte und für mich sehr erfüllende Studienobjekte. Ich bin ein großer Fan Zen-buddhistischer Meditation und arbeite heute in einem medizinischen Beruf.