»Curious Expedition 2« kombiniert den Imperialismus des 19. Jahrhunderts mit abgefahrenen Fantasy-Elementen. Max hat sich in Ausgabe #15 von Videospielen mehr Kreativität im Umgang mit historischen Themen gewünscht. Wir haben ihn gezwungen, sich das mal anzusehen.
Ich komme später dazu, wie »Curious Expedition 2« mit seiner historischen Inspiration umgeht. Zuerst müssen wir über das Spiel sprechen. »Curious Expedition 2« ist ein Roguelike oder Roguelite oder wie auch immer man das im Einzelnen nennen will, jedenfalls lässt es mich immer wieder sterben, woraufhin ich mit neu errungenen Boni einen neuen Anlauf starte. In jedem dieser Runs stelle ich ein Team von Entdecker*innen zusammen, rüste sie mit Waffen und allerlei nützlichen Survivalgadgets aus und schicke meine Truppe auf Expeditionen in exotische Gefilde. Außerdem lässt sich jeder meiner Charaktere aufleveln, was in Kämpfen und Skillprüfungen zum Tragen kommt. Dieses Rollenspielsystem funktioniert gut, auch wenn die würfelbasierten Kämpfe manchmal etwas lang geraten. Die Exploration motiviert wie schon im ersten Teil durch eine Mischung aus Ungewissheit und kuriosen Entdeckungen und die Roguelike-Mechanik macht erfrischend süchtig.
Im Dschungel hört dich niemand Ragequitten
Dennoch hat »Curious Expedition 2« einige unschöne mechanische Kanten, die mich derartig gestört haben, dass ich ihnen an dieser Stelle unnötig viel Platz einräumen möchte. Im Besonderen geht es mir um die Sache mit den Informationen. Wie bei Roguelikes üblich besteht der spielerische Fortschritt neben freischaltbaren Boni darin, dass mir beim zweiten, dritten oder fünfunddreißigsten Anlauf die Erfahrungen der letzten Durchgänge als nützliche Informationen zur Verfügung stehen.
Leider geht »Curious Expedition 2« mit diesen Informationen allzu geizig um. Das wäre noch entschuldbar, wenn es allein um untererklärte Mechaniken gehen würde. Ich begebe mich schließlich auf eine Entdeckungsreise ins Ungewisse, da muss nicht jede Handlung auf den ersten Blick erfassbar sein. Dass zum Beispiel wilde Tiere sich unberechenbar verhalten und deshalb eine ständige Bedrohung darstellen nervt zwar, macht im Kontext des Spiels aber Sinn. »Curious Expedition 2« krankt aber auch an einem Mangel von Konsequenz. Beispielsweise ist oft nicht ersichtlich, was genau der Win-State einer Expedition ist.
Bei einigen kehre ich bei Erreichen eines Ziels per Mausklick in den Heimathafen zurück, bei anderen muss ich mir einen Weg zurück zum Schiff bahnen, bei wieder anderen kann ich es mir aussuchen. Gerade bei beschwerlichen Reisen entscheidet sich daran, ob eine Expedition im Triumph oder im Desaster endet. Warum aber etwa eine seltene Orchidee unbedingt zum Schiff transportiert werden muss, ein frisch gehobener Schatz aber nicht, verstehe wer will. Derartige Inkonsequenz sorgt für Frustmomente, die mich mehr als einmal aus dem Clubsessel haben fahren lassen.
Spaß mit Geschichte
Im Verlauf diverser Anläufe breitet »Curious Expedition 2« die Geschichte der Entdeckerin Victoria Marlin aus, die sich mit meiner Hilfe auf die Spuren seltsamer Portale begibt. Der unbestrittene Star des Spiels ist aber das Setting. Schon der Startbildschirm, das Paris des Jahres 1889, versprüht eine enorme Portion gezeichneten Charme. Hier heuere ich in einer verruchten Kneipe Entdecker*innen an und decke mich auf der Weltausstellung mit allerlei Nützlichen Gadgets ein. Was diese Welt so besonders macht ist die nonchalante Vermischung aus Geschichte und Fantasie, aus ernsten Themen und völligem Blödsinn. Im Verlauf meiner Expeditionen erlebe ich froschgiftinduzierte Drogentrips, brüte Dinosauriereier aus und lege mich mit fiesen Schamanen an.
Dennoch existieren die Übel der realen Welt auch in »Curious Expedition 2«. Die Mitglieder meiner Expeditionen sind Sexist*innen, Säufer*innen oder Kleptoman*innen und gemeinsam berauben wir indigene Bevölkerungen ihrer Kulturschätze, sofern uns der Sinn danach steht. Die Brisanz dieser ruchlosen Handlungen wird dadurch deutlich entschärft, dass es sich bei den Eingeborenen (Spoiler) teilweise um Echsen- oder Maulwurfsmenschen oder gleich um mysteriöse, scheinbar außerirdische Wesen handelt. Die Teilnehmer*innen meiner Expeditionen sind dagegen was Geschlecht und Hautfarbe angeht sehr divers, wenn auch größtenteils rein menschlich.
»Curious Expeditionen 2« tut also eigentlich genau das, was ich mir gewünscht habe: Das Spiel hat Spaß mit historischen Themen und vermeidet es gleichzeitig, sich fies in die Nesseln zu setzen. Mir ist das ehrlicherweise fast schon zu belanglos. Die starke Verfremdung macht die zugrundeliegende historische Realität von Kolonialismus und Raub goutierbar, bleibt aber in genau denselben Erzählmustern verfangen. Ich »entdecke« ferne Lande, die hunderttausende Menschen vor mir kannten, studiere die Riten der »Eingeborenen« und bringe Trophäen mit nach Hause. Ganz unabhängig von meiner sonstigen Herangehensweise steht am Ende dieser Karriere die Ausstellung meiner »Entdeckungen« im Pariser Louvre.
Die »farbenblinde« Herangehensweise an historische Stoffe macht in den letzten Jahren zunehmend Schule, zuletzt etwa in der Netflix-Serie »Bridgerton«. Autor*innen entwerfen darin eine farbenblinde Vergangenheitsfantasie, in der soziale Ungerechtigkeiten weiterbestehen, aber nicht entlang der historischen Konfliktlinien der realen Welt. Das hat hier wie da Vorteile und Nachteile. Einerseits bietet es die Möglichkeit, historisch marginalisierten Gruppen Teilhabe an populären Narrativen zu ermöglichen. Für Aufführungen von Shakespeare ist farbenblindes Casting nicht ohne Grund seit Jahrzehnten Standard. Umso mehr sich ein Narrativ aber einer historischen Erzählung annähert, muss es sich aber den Vorwurf gefallen lassen, die mitunter grausame Geschichte zu beschönigen. »Bridgerton« etwa stilisierte den bekennenden Sklavereifan König Georg III. von England kurzerhand zum Kämpfer gegen Rassismus und Ungleichheit und fing sich damit massenhaft berechtigte Kritik ein.
Ich bin nicht sicher, wo genau auf dem Spektrum zwischen »The Tempest« und »Bridgerton« »Curious Expedition 2« zu verorten ist. Wie bei allen historischen Stoffen stellt sich aber eine zentrale Frage: Wenn Autor*innen sich derartig verbiegen müssen, um einen Stoff für ein modernes Publikum aufzubereiten, ist er dann für die Art von spaßigem Spiel geeignet, das »Curious Expedition 2« offensichtlich sein will? Für mich ist das vor allem eines: eine vertane Chance. Zu einen interessanten Kommentar auf die Geschichte des Imperialismus, wie er etwa einem »80 Days« gelingt, fehlt »Curious Expedition 2« schlicht der Wille, sich auch mit haarigen Themen näher auseinanderzusetzen. Diesen Schuh muss sich natürlich auch kein Spiel anziehen. Dann lohnt es sich aber, über ein grundlegend anderes Setting nachzudenken.
- Publisher: Thunderful Publishing
- Plattformen: PC, PS4, Xbox One, Switch
- Veröffentlichungsdatum: 28.01.2021
- Preis: 19,99 €
- Ein Muster des Spiels wurde uns kostenlos zur Verfügung gestellt.