Während viele hier im traditionellen Lande der Aufbaustrategie sehnlichst auf Anno 1800 warten, können sich Fans des Genres zusätzlich auf ein echtes Indie-Juwel für 2019 freuen. Kein großer Publisher, nur zwei feste Entwickler und eine Idee, die während der Studienzeit geboren wurde. Das steht hinter Imagine Earth. Wir haben einen Blick auf das Spiel geworfen.
Planetare Aufbaustrategie
Wie gelangt man an Ressourcen, wenn man auf der Erde bereits alles bis zum letzten Öltropfen ausgebeutet hat? Na klar, man wendet sich dem nächsten Planeten zu. In Imagine Earth hat der Kapitalismus interstellare Ausmaße angenommen. Verschiedene Konzerne wetteifern um den Abbau von Rohstoffen auf fremden Welten. Wir gehören einem dieser Konzerne an. Fortan bauen wir Kolonien auf, verwalten Ressourcen, treiben Handel und kümmern uns um die Bedürfnisse der siedelnden Bevölkerung.
Unsere Kolonisten brauchen selbstverständlich etwas zu essen und diverse Verbrauchsgüter, die wir durch Produktionsstätten zur Verfügung stellen. Je vielfältiger das Sortiment an Nahrungsmitteln und Gütern ausfällt, desto glücklicher sind die Bewohner. Damit unsere Produktion läuft, müssen wir uns um die Energieversorgung kümmern, die durch unterschiedliche Arten von Kraftwerken sicherzustellen ist. Einer unserer größten Feinde im Spielverlauf ist der Bauplatz.
Wir errichten die Gebäude auf vom Spiel fest vorgegeben Feldern um unsere Hauptbasis herum. Diese sind natürlich in ihrer Anzahl begrenzt und müssen effektiv genutzt werden. Die Feldstruktur gibt der Spieloberfläche einen Hauch von Brettspiel-Atmosphäre. Grundsätzlich unterscheidet sich die Verwaltung des Geländes aber im Prinzip nicht von einem Spiel wie Anno. Auch hier gibt es wechselseitige Beeinflussung von Gebäuden im Positiven wie im Negativen, sodass geschickte Optimierung und die Berücksichtigung von Wechselwirkungen belohnt wird.
Durch das Verwenden von Tech-Lizenzen, die wir für die wachsende Qualität unserer Kolonie erhalten, schalten wir neue Gebäudetypen frei. Im späteren Spielverlauf sind wir deshalb des Öfteren gezwungen, Gebäude abzureißen und unsere Siedlung neu zu strukturieren, wenn beispielsweise bessere Energiequellen verfügbar sind. Am Anfang ist das klassische Kohlekraftwerk das Mittel der Wahl, was offenbar auch in ferner Zukunft noch eine brauchbare Energiequelle darstellt (insbesondere für profitgierige Konzerne). Schon bald können wir aber aus diversen Energiequellen schöpfen und müssen dabei stets abwägen, ob wir eher auf erneuerbare Energien oder auf fossile Brennstoffe setzen.
Die Natur schlägt zurück
An dieser Stelle kommt die Besonderheit von Imagine Earth zum Tragen, denn bis dahin könnte man meinen, man hätte es mit recht klassischer Aufbaustrategie im Zukunftsszenario zu tun. Doch das Spiel bietet zusätzlich eine bewundernswerte Einbindung der Umweltfaktoren. Die Entwickler bezeichnen ihren Titel deshalb auch als »Climate Survival Simulation«. Alles was wir unternehmen, hat in irgendeiner Weise einen Einfluss auf den Planeten, dessen Ressourcen wir uns aneignen. Die Klimaerwärmung macht das Land durch Desertifikation zunehmend unfruchtbar, Überschwemmungen bedrohen die Existenz unserer Kolonie, Waldbrände müssen gelöscht werden und Zerstörungen durch häufiger werdende Tornados sind zu reparieren. Die Natur schlägt zurück. Sie ist eine feste Größe in der Spielmechanik.
Frei nach dem Credo von Sid Meier »Ein Spiel ist eine Reihe von interessanten Entscheidungen« lässt uns Imagine Earth ständig wichtige Abwägungen treffen. So gilt es nicht nur Kontostand, Nahrung und Güter im Auge zu behalten, sondern auch für eine ausgeglichene Emissionsbilanz zu sorgen, wenn der Planet nicht vor die Hunde gehen soll. Dies führt zu kniffligen Überlegungen. Lass ich den Wald roden, um mehr von dem dringend benötigten Bauplatz zu erhalten oder lasse ich ihn stehen, um meine Emissionsbilanz in Ordnung zu halten? Wer rein auf erneuerbare Energien setzen will, kann es schwer haben, da von diesen Kraftwerken deutlich mehr gebaut werden müssen. Wenn man statt herkömmlicher Nahrungsproduktion auf biologischen Anbau setzt, geht das mit höheren Kosten und einem gesteigerten Energieverbrauch einher.
Um weitere Verbesserungen zu erhalten, gibt man seine Forschungspunkte aus. Dabei will es wohlüberlegt sein will, welche Vorteile man sich durch neue Technologien sichern möchte. Produktionsstätten lassen sich dann beispielsweise in eine bestimmte Richtung lenken, die mal mehr und mal weniger umweltfreundlich ist. Wer will, kann für jedes einzelne Gebäude einen anderen Schwerpunkt wählen. Dem Drang zur Optimierung sind kaum Grenzen gesetzt. Imagine Earth hält einen bei der Stange. Das Spiel bietet sogar ein rudimentäres Crafting-System. So müssen wir bestimmte Güter ansammeln, um beispielsweise in unserer Werkstatt Sprengstoff herzustellen, der fortan in unserem Inventar zur Verfügung steht.
Diesen können wir dann nutzen, um per Befehl ganze Berge zu sprengen, um an wertvolle Ressourcen heranzukommen. Schließlich bleiben wir insbesondere in der Kampagne bei allem Umweltbewusstsein stetig dem Druck des profitorientierten Konzerns ausgesetzt, für den wir arbeiten. Ein waschechter Kapitalist lässt sich auf seinem Weg zum Geld sicher nicht von lächerlichen Bergen abhalten, durchaus aber irgendwann vom Klimawandel und den schmelzenden Polkappen, die seine Kolonien zu ertränken drohen.
Umfang
Für weitere Abwechslung sorgen zusätzlich noch mögliche Katastrophen, die nicht von unserem Spielverhalten abhängig sind: etwa Meteoriteneinschläge oder ausbrechende Vulkane. In einem Weltraumspiel dürfen selbstverständlich auch die obligatorischen Außerirdischen nicht fehlen. Die Interaktion mit fremden Völkern reicht vom friedlichen Handel über den Kontakt mit Weltraumpiraten bis hin zu Alien-Invasoren, gegen die man sich zur Wehr setzen muss. Hier entsteht dann auch ein Hauch von Krieg der Welten. Die Interaktionen mit extraterrestrischen Völkern und das Diplomatiesystem sollen bis zum Release auch noch weiter ausgebaut werden. Solche Features sind wichtig, um die Langzeitmotivation aufrechtzuerhalten, die noch ausbaufähig ist.
Neben der Hauptkampagne, in der wir langsam mit den wichtigsten Spielmechaniken vertraut gemacht werden, wartet ein Endlosspielmodus auf zufällig generierten planetaren Karten sowie ein Wettbewerbsmodus, in dem man gegen verschiedene KI-Konzerne antritt. Es wird sogar ein Planeten-Editor mitgeliefert, der allerdings nicht übermäßig komplex ausfällt. Grafisch macht das Spiel mit seinen geringen finanziellen Möglichkeiten einen ansehnlichen Eindruck, auch wenn man keine übermäßige Detailflut erwarten sollte.
Unsere Kolonie wirkt recht statisch und unbelebt, auch die Gebäude dürften gern ein stärkeres sichtbares Feedback über ihre Funktionalität abgegeben. Statt des typischen Scrollens drehen wir den zu kolonisierenden Planeten, der die komplette Spieloberfläche darstellt und zoomen uns stufenlos in das Geschehen. Das Spiel ist weitgehend komfortabel zu bedienen. Tooltipps erklären die meisten Fakten sehr präzise und wem es gerade mal alles zu schnell geht, kann die Spielgeschwindigkeit jederzeit regulieren.
Fazit
Auch wenn die Auseinandersetzungen mit Aliens durchaus interessant sind, so ist der Hauptkonflikt, der in Imagine Earth simuliert wird, derjenige zwischen Kapitalismus und Umwelt. Wie lässt sich ein sauberer und lebenswerter Planet bewahren in Anbetracht der Profitinteressen großer Konzerne? Auch wenn andere Spiele bereits vorher den Umweltaspekt auf die eine oder andere Weise einbezogen haben, so wurden in keiner anderen Aufbausimulation Klima und Wirtschaft bisher in dieser Konsequenz zusammengedacht. Mit der ironischen Überzeichnung des Weltraumkapitalismus geht auch ein gehöriges Maß an Gesellschaftskritik einher.
Die Ausbeutung eines Planten zugunsten des Profits geht niemals ohne Nebeneffekte oder vollkommen sauber vonstatten. Das ständige Mitdenken der Umweltkomponente ist in Imagine Earth unausweichlich. Dabei haben sich die Entwickler auch gegenüber jedem plumpen Vorwurf der Moralisierung immun gemacht, indem sie die Umweltmechaniken sinnvoll in das Spiel integriert haben. Aspekte wie Emissionsbilanz und Naturkatastrophen fühlen sich nicht wie Fremdkörper an, sondern greifen mit den anderen Mechaniken logisch ineinander. Imagine Earth zeigt, dass sich Themen wie Klimawandel und Umweltverschmutzung geschickt in eine Aufbausimulation einbetten lassen und dass ein »Serious Game« keinesfalls ein langweiliges Game sein muss.
Wer sich heute bereits ein Bild vom Spiel machen will, kann sich die Demo auf Steam herunterladen, die das Tutorial enthält. Wer dann auf den Geschmack kommen sollte, kann die Early-Access-Version auf Steam kaufen und damit die unabhängigen Entwickler für 20 Euro aktiv unterstützen. Dafür erhält man bereits ein sehr ausgereiftes und umfangreiches Spiel mit allen Hauptmodi einschließlich der gesamten Kampagne. Wer grundsätzlich skeptisch gegenüber Early-Access ist und lieber auf das finale Spiel (und natürlich unseren Test) warten möchte, der muss sich noch bis zum Release Anfang 2019 gedulden.