Seit dreißig Jahren verändern Modder populäre Games. Ihre Szene ist der Nährboden für den eSport, Indies und etliche Karrieren. Eine Reise ins Herz dieser Kultur.
Auf meiner monatelangen Reise durch diesen labyrinthartigen Dschungel der Internetkultur, den man im Gaming-Jargon als Modding bezeichnet, beginnt mir bald mächtig der Kopf zu qualmen. Ich dachte, ich weiß Bescheid, über Games, ihre Geschichte. Ich liebe das Medium, seit ich das erste Mal einen Game Boy in der Hand halten konnte, vor bald 25 Jahren. Allerdings spiele ich meine Videospiele brav so, wie die Macher es vorgesehen haben, im Original. Modder nennen das die Vanilla-Version. Vanilla »Grand Theft Auto«. Vanilla »Minecraft«. Vanilla steht für Langeweile. Der Begriff hat seine Ursprünge – wie so vieles dieser Kultur – in der Hacker-Szene. Das Standardeis ohne Zusätze, so heißt es in Eric S. Raymonds »New Hacker’s Dictionary«, schmecke immer nach Vanille. Bleiben wir in diesem Bild, dann sind Modder so etwas wie die Gourmets der Spielekultur – oder ihre wahnsinnig gewordenen Köche.
Sie passen populäre Spiele ihrem eigenen Geschmack an. Sie streichen oder ergänzen Funktionen, tauschen Grafiken und Sounds aus – oder entwerfen ganz neue Welten mit eigener Handlung, eigenen Regeln. Wie bizarr das werden kann, verdeutlicht die Online-Community rund um »Skyrim«, in seiner Vanilla-Form ein Fantasy-Rollenspiel über Diebe, Magier und Elfen. Mit über 60.000 Mods, von denen sich mehr als 200 gleichzeitig aktivieren lassen, kann man es allerdings auch so spielen, wie dieser Gamer auf Reddit es beschreibt: »Ich will Mods, die mich völlig verwirren und hysterisch lachen lassen, während ich als Avatar mit einem Pilzkopf herumlaufe, einen Gummi-Enten-Schlauch trage und mit einer Kartoffelkanone auf eine Herde giftiger Hühner schieße und mein Begleiter – ein riesiger Frosch! – Spiderman mit einem Lichtschwert ins Gesicht sticht.« Die Antwort eines Eingeweihten: »Ah, in dieser Phase bist du also.«
»Fans, die zu Hause sitzen und an Spielen herumtüfteln – das ist für mich das Herzstück dieser ganzen Industrie, ihr Ursprung« – DAN Pinchbeck
Auf YouTube spielen sich gefühlt hunderte solcher Szenen ab. Da fahren Wale im Cabriolet durch Liberty City von »GTA IV« oder Godzilla taucht plötzlich am Horizont des hyperrealistischen »Microsoft Flight Simulators« auf. Seit »Wolfenstein 3D« von 1992 wird es zur Tradition, den lila Dino Barney aus »Barney & Friends« in jedes Spiel hinein zu modden. Die Spielemagazine greifen die skurrile Facette dieser Kultur nur zu gern auf, denn nichts klickt besser als eine zwei Meter große, furchteinflößende Vampirlady im schicken Kleid, der jemand das Mondgesicht von »Thomas The Tank Engine« verpasst hat (auch das, so lese ich, eine alte Tradition). Wer wie ich 1990 geboren ist, der weiß vermutlich auch, dass eines der bis heute populärsten Online-Spiele, »Counter-Strike«, 1999 zuerst als Mod von zwei Studenten sein Leben begann …
Aber das alles ist nur die oberste kleine Spitze eines Eisbergs, den – so vermute ich – irgendein Modder in eine Rutsche verwandelt hat. Ich bin jedenfalls in ein mächtig tiefes Rabbit Hole geraten. Ich beginne mit Spielemachern zu schreiben und zu reden, mir ihre Geschichten anzuhören. Und ich komme aus dem Staunen nicht mehr heraus. Langsam wird mir klar: Modding ist viel mehr als eine skurrile Fußnote in der Kultur der Videospiele. »Fans, die zu Hause sitzen und an Spielen herumtüfteln – das ist für mich das Herzstück dieser ganzen Industrie, ihr Ursprung«, erklärt mir Dan Pinchbeck, der Creative Lead des britischen Indie-Studios The Chinese Room. Sein Spiel »Dear Esther« begann einst als Mod, heute dient es im Literaturarchiv Marbach als Musterbeispiel interaktiver Literatur. Pinchbeck ist nicht der einzige einflussreiche Game Designer, dessen Laufbahn in diesem Milieu beginnt. Geht man zurück in der Geschichte der Branche, so trifft man gefühlt überall auf den Einfluss von Moddern und ihren Kreationen. Ob im milliardenschweren eSport oder der heutigen Indie-Kultur, vieles von dem, was die Spielekultur groß gemacht hat, blickt auf einen Ursprung in dieser Szene zurück.
»Sie gaben uns ihre Werkzeuge in die Hand und wir schlugen damit ihre Fenster ein und hängten unsere Bilder in ihr Wohnzimmer« – DAN Pinchbeck
John Romero, ein Pionier der Bewegung, erklärt mir, dass Modding im Grunde »old school« sei. Seit es Computer gäbe, sei es auf alle möglichen Weisen passiert, nur hätte man es eben noch nicht so genannt. Vor allem Studenten hätten früh mit dem Code von Spielen herumexperimentiert, ihn auf Listen geschrieben, diese verändert und untereinander ausgetauscht. »Schau dir das erste Spiel irgendeines Genres an, und du kannst davon ausgehen, dass es wie verrückt modifiziert und von Uni zu Uni weitergereicht wurde.« Ein berühmtes Beispiel: »Colossal Cave Adventure«, das gemeinhin erste Text-Adventure, 1977 erfunden. An den Unis populär wird jedoch erst die zwei Jahre später entwickelte Mod von Don Woods.
Mit dem Aufkommen des Internets explodiert das Phänomen. Maßgeblich verantwortlich für die Entstehung der ersten großen Modding-Szene werden John Romero und sein Partner, der Programmierer John Carmack. Beide gelten heute als legendäre Game Designer, denen wir das verdanken, was wir unter einem Ego-Shooter verstehen (Carmack hat wohl auch irgendetwas Wichtiges für die Raumfahrt erfunden, aber who cares?). 1991 gründen sie id Software – und revolutionieren gemeinsam die Spielekultur. Mit dem Release von »Doom« 1993 geben sie ihren Fans Zugang zu den Sounds und Grafiken ihrer Games. Sie können diese austauschen oder neue Levels bauen. Später mit »Quake«, 1996, veröffentlichen sie den Quellcode, sodass sich das Spiel bis in seinen Kern umgestalten lässt. Die Fans dürfen alles benutzen, verändern und teilen – aber sie müssen ihre Kreationen kostenlos anbieten. Bis heute ist das eine eiserne Regel des Moddings, über die viel gestritten wird. Damals spielte diese Diskussion noch keine Rolle. »Es war wie eine Straßenbewegung. Es war Punk«, schwärmt Pinchbeck. »Sie gaben uns ihre Werkzeuge in die Hand und wir schlugen damit ihre Fenster ein und hängten unsere Bilder in ihr Wohnzimmer.«
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