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Back to the Roots: Postal 2

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Leute anpinkeln, mit Kätzchen schmeißen, zwergwüchsige Afroamerikaner mit Benzin überschütten und anzünden. Nein, das ist keine Beschreibung von Donald Trumps politischem Alltag, welcher im großen weißen Haus jenseits des großen Teiches im Land der unbegrenzten Möglichkeiten sitzt, sondern der alltägliche Wahnsinn im Tagesablauf des „Postal Dudes“, seines Zeichens Protagonist des Kultgames Postal 2.
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Einwöchiger Höllenritt

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Das erschien ganz kurz nach der Jahrtausendwende, also gleich nach dem verhängnisvollen Jahr 2000, das sich als so verhängnisvoll gar nicht erwiesen hat, denn wir alle leben und gamen noch, in beheizten Häusern und mit Essen im Kühlschrank. Aber warum sich nicht wieder einmal besinnen auf den Geist jener Zeiten, als die Welt nicht nur nach Maßstäben altehrwürdiger Hochkulturen und ihrer in Stein gemeißelter Kalender, sondern auch kaum ehrwürdiger, neumodischer Spinner, vor die Hunde zu gehen drohte. Aber gar nichts ging vor die Hunde und die erwarteten Reiter der Apokalypse haben sich als harmlose, wenn auch für Gehörgänge verheerende Boyband namens „OneDirection“ erwiesen. Alles halb so schlimm.

Man kann eigentlich von Glück reden, dass es Postal 2 gibt, dieses zur damaligen Zeit hochkontroverse Game und sein fiktives „Paradise“ – wobei Nomen mal nicht Omen ist – im US-Bundesstaat Arizona, wo man, wenigstens virtuell, seine apokalyptischen, die Umwelt und Mitmenschen zerstörenden Gelüste ein bisschen ausleben kann, denn wer – Hand auf‘s Herz – sehnt sich nicht manchmal danach, seine apokalyptischen Gelüste auszuleben. Der Autor dieses Textes beispielsweise hat dieses Verlangen mindestens jeden Montagmorgen. So hat man in Postal 2, das rein optisch daherkommt wie ein simpler First-Person-Shooter, die komplexe Handlungsfreiheit eines Rollenspiels – und zwar die eines guten Rollenspiels – und macht aus einem simplen Einkauf, denn das ist die simple Rahmenhandlung und der Auftakt des Games, einen verrückten Höllenritt, der sich durch eine ganze lange Woche zieht. Diesen Höllenritt gestaltet man dann auch (fast) ganz nach seinem Belieben und schickt wahlweise Feministinnen, Polizisten, Elefanten oder, ganz minimalistisch, einfache Büroangestellte in den Hades, während man die Missionen erfüllt, die einem das Leben vor die müden Füße schmeißt. Warum man so etwas tun wollte? Fragt nicht mich!
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Popkultur und Stinkefinger

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Man sollte Postal 2 als geistigen, etwas soziopathischeren Bruder der legendären „Grand Theft Auto“-Reihe sehen und dieselbe ironische Distanz zu den bunten Pixeln wahren. Tut man das, kann man guten Gewissens ein Game geniessen, das, wie nur wenige andere, der makellos geschleiften Gamingindustrie von Großkonzernen, dem guten Geschmack und der politischen Korrektheit gekonnt den Mittelfinger ins Gesicht streckt. Zu alledem ist Postal 2, und das dürfte weniger bekannt sein, ein waschechtes Stück amerikanischer Popkultur, wenn auch der dunklen Seite davon, denn das Game war eines derjenigen, welche die sinnfreie Diskussion um sogenannte „Killergames“ angeheizt und befeuert haben, denn es soll eines jener Spiele gewesen sein, die Kimveer Gill, ein Schulamokläufer aus dem Jahr 2006 in Kanada, gespielt hat. Folglich wurde es in weiten Teilen Nordamerikas, insbesondere in den Bundesstaaten, verbannt und indiziert.

Damit befindet es sich in bester Gesellschaft mit anderen Games – teils großartigen, originellen, missverstandenen Games – der, man kann schon sagen, „Suicide Squad“ der Gamingindustrie, obwohl der Film natürlich vollkommen bekloppt war und das einzig suizidale daran meine Gedanken wegen der verschwendeten Lebenszeit im Kino waren. Man kann jedem seine eigene Meinung zur Thematik der Killergames zugestehen, aber als Verfechter der Kultur, der ich manchmal bin, rate ich auch hier, sich ein bisschen Kultur anzutun und diesen verrückten, vollkommen aus dem Rahmen fallenden und teilweise sogar kathartischen Ritt auf dem heimischen Computer, den Postal 2 einem bietet, einmal auszuprobieren.

Mit dem Vorbehalt natürlich, dass man nachher nicht gleich zum Killer wird. Denselben Rat erteile ich übrigens auch Mitmenschen, die Anwaltsserien schauen: Bitte, lieber Mitmensch, werd‘ mir nachher bloß nicht so ein Anwalt!
Postal 2 gibt es in einer polierten Auflage und mit der Expansion, in der man sich auf die Suche nach seinem Hund begibt (niedlich!), auf Steam zu kaufen – für den Preis von etwa eineinhalb Zigarettenpäckchen. Und ja, ich gebe die Preise immer im Verhältnis zum aktuellen Zigarettenpreis an. In diesem Sinne: Back to the (dark) roots!
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Dieser Artikel ist in Ausgabe #2 des GAIN Magazins erschienen.

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